Archive für November 2010

Zahlenspiele

Heute feiere ich ein Jubiläum, ich bin jetzt auf den Tag genau 2 Jahre hier. Wobei „Feiern“ nicht wirklich der Realität entspricht, eher sollte ich sagen: „ich stelle fest…“

2 Jahre, 24 Monate, 104 Wochen, 730 Tage, zahllose Minuten oder unzählige Sekunden.

2 Weihnachten
2 Silvester
2 Geburtstage
2 Sommer
104 mal Posaunenchor
730 mal grüßte das Murmeltier…

unbreakable

Eine ereignislose Woche liegt hinter mir, ohne Abstürze oder Höhenflüge.

Aber ich weiß jetzt, weshalb ich dem Verfall meines Körpers so -relativ- gelassen zuschaue. Bis jetzt war es immer so gewesen, dass eine Krankheit oder eine Verletzung kam/auftrat und ich recht interessiert dabei zusah, welche Symptome wann und wie stark auftraten. Am Ende war sie weg, ich war wieder gesund/fit und um eine Erfahrung reicher.

Ich glaube, dass ich die Unzerstörbarkeit meines Körpers und meine Selbstheilungskräfte so stark verinnerlicht hatte, dass ich jetzt tief in meinem Innern darauf warte, dass die ALS verschwindet und ich wieder die Richtung wählen kann, in die ich gehe. Für die alljährliche Grippewelle und Sätze wie „mach’ die Jacke zu, sonst erkältest Du Dich“ hatte ich lediglich ein müdes Lächeln übrig; Medikamente waren für andere. Gesund und aktiv zu leben, mit viel Aktivität und Bewegung, kombiniert mit einer positiv-offensiven Grundhaltung war mein ‘Erfolgsrezept’, garniert mit den nötigen Ausnahmen wie mäßigem Nikotinkonsum, gelegentlichem Alkohol und immer reichlich Butter, viel Salz und Zucker, Sahne und Kaffee. So war es bis heute, Krankheiten kamen - und gingen auch wieder, warum sollte die Krankheit mit dem doofen Namen „Amyotrophe Lateralsklerose“ da eine Ausnahme machen und sich nicht wieder verkrümeln?

Ich nehme das Zucken meiner linken Hand, in eine Richtung, in die sie sich seit mehr als einem Jahr nicht mehr bewegt hat, jedenfalls als positives Zeichen - und ignoriere die zunehmende Schwäche meiner Halsmuskeln und meines rechten Beins dafür …

Am Wochenende soll’s auch im Flachland die ersten Schneeflocken geben. Also: Mützen aufsetzen und immer schön die Jacke schließen!
;-)

Tartaros

Ich war im Himmel - und in der Hölle. Und ich rede dabei nicht von Köln und den „Jecken“, die seit Donnerstag wieder ihre Stadt in eine Hölle verwandeln und normal gebliebene Mitmenschen mit Musik und platten Witzchen quälen - obwohl das schon recht „höllisch“ ist. Nein, ich meine die echte(n) Hölle(n) und Himmel. Als ich heute morgen wach wurde, stand die Erkenntnis so klar vor meinen Augen, als hätte ich es gerade erlebt. Wohl jeder kennt das Gefühl, wenn man nach dem Aufwachen leicht desorientiert ist und ein paar Augenblicke zum Wachwerden braucht.

Aber bei mir war es gestern anders. Es war nicht so wie sonst, mit nebulösen Gedankenfetzen und unklaren Bildern. Vielmehr waren meine Gedanken klar und präzise. Wie „normale“ Erinnerungen, und außerdem sehr detailliert. Das Resultat ist, dass ich somit sehr genau darüber informiert bin, wie es in den Himmeln und Höllen aussieht. Ja, der Plural ist korrekt. Nicht überraschend, wenn man mal genauer drüber nachdenkt!

Zählt man die Verstorbenen dieser Welt zusammen seit es Menschen gibt, kommt man auf eine sehr stattliche Zahl. Da ist eine Unterteilung unumgänglich! Dazu überaus facettenreich ausgestattet, mit solch illustren ‘Mitgliedern’ wie z.B. Ghandi oder Kublai Khan. Einleuchtend ist dabei auch, dass eine Hölle für die große Bandbreite von Bösen absolut nicht ausreicht. Oder fänden Sie es richtig, Adolf Hitler und George W. Bush in dieselbe Hölle zu stecken? Wenn es bei George so weit ist, kommt er bestimmt in die gleiche Fachrichtung wie unser Adolf, aber wohl nicht in die selbe ‘Klasse’.

Ich war oben, im Himmel. Aber leider nicht ganz oben. Das merkte ich daran, dass mir zwar jeder erdenkliche Luxus zur Verfügung stand. Jedoch konnte ich mich noch immer nicht bewegen, was mich trotz der vielen hilfreichen Hände extrem frustete. Süßes Nichtstun will erst verdient werden. So kam, was kommen musste: ich wurde rausgeworfen. Keine Ahnung, ob wegen meines kontinuierlichen Meckerns oder weil ich nicht „Hosiannah“ rufen und den Herrn preisen wollte…

So landete ich in einer Hölle. Entgegen den landläufigen Vorstellungen bemerkte man das nicht an hohen Temperaturen, dem Schwefelgeruch oder der Tapetenfarbe, sondern an vielen Kleinigkeiten. Für mich sah es erstmal aus wie zuvor, sogar die Inneneinrichtung war auf den ersten Blick die gleiche. Dass ich mich nicht verbessert hatte, stellte ich nach einigen Stunden fest; niemand ließ sich bei mir blicken, und ich konnte keinen Finger rühren oder rufen. Nach einer gefühlten Ewigkeit - und nachdem ich jedes Zeitgefühl verloren hatte - erschien doch noch jemand. Eine betörend schöne Frau in einer Krankenschwesterntracht, wie man sie bei Kostümfesten sieht. Heiss, nicht mal die offenherzige Bluse fehlte. In der Hand hielt sie ein Glas Apfelsaft. Sie trat, ohne ein Wort zu sagen, an meinen Sessel und reichte mir das Glas. Meine Lippen schlossen sich um den Trinkhalm und ich begann zu trinken. Ich hätte es wissen müssen: ehe der erste Tropfen meine Lippen erreicht hatte, senkte sie das Glas. Der Halm rutschte zwischen meinen Lippen hindurch, worauf sie sich entschuldigte und das Glas wieder leicht anhob. Das Spielchen wiederholte sich so lange, bis ich meinen Kopf und den Trinkhalm zwischen meinen Lippen halten konnte. Sie ließ mich zurück, ohne dass ich auch nur einen Tropfen an meinen Lippen gespürt hätte. Fand ich zwar wirkungsvoll, allerdings nicht sehr kreativ. So etwas wurde vor ungefähr 1500 Jahren schonmal beschrieben: die Qualen des Tantalos, der die Allwissenheit der Götter testete und der (und seine Nachkommen) dafür grausam bestraft wurde. Nachzulesen in Homer’s Odyssee:

Strafe
Die Götter verstießen Tantalos in den Tartaros und peinigten ihn dort mit ewigen Qualen, den sprichwörtlich gewordenen Tantalosqualen.

„Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.“

Zu Durst und Hunger kam auch die ständige Angst um sein Leben, da über seinem Haupt ein mächtiger Felsbrocken jeden Moment herabzustürzen und ihn zu erschlagen drohte.

Meine Krankenschwester konnte wohl meine Gedanken lesen, denn sie drehte sich nochmal um und schenkte mir ein Lächeln, wissend, betörend und hämisch. Sie warf ihren Kopf zurück, dass ihre roten Haare flogen. Noch lange, nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, glaubte ich, ihr Kichern zu hören.

Ich war definitiv in einer Hölle gelandet, das hatte ich realisiert. Mit meiner persönlichen Folterschwester, die gerade erst begonnen hatte, Gemeinheiten aus ihrem Repertoire auszupacken. Ich war immer noch durstig, wusste aber auch, dass das noch steigerungsfähig war und werden würde.

Meine Befürchtungen bestätigten sich in den nächsten Monaten. Sie hatte gerade erst angefangen, 3000 Jahre Berufserfahrung und war bis in die Haarspitzen hinein motiviert. Ich hätte nie gedacht, dass es so viele scheinbar belanglose Dinge gab, die als Foltermethode verwendet werden können. Nur sie kannte sie alle und war begierig, mir ihr Wissen zu demonstrieren. Oft fühlte ich mich wie eine Versuchsmaus, die immer wieder in dasselbe Mäuselabyrinth gesetzt wurde, Tag für Tag. Morgens konnte ich manchmal hören, wie sie und ihre Kolleginnen vor der Tür irre kicherten. Aber bekanntlich hat alles mal ein Ende, und jetzt bin ich ein paar Klassen weiter. Ob Himmel, Hölle oder genau dazwischen, wird sich zeigen. Ich werde es berichten, sobald ich es weiß…
;-)

Abnutzungserscheinungen

Es ist unbestreitbar so, dass Alles im Lauf der Zeit abnimmt: Qualität, Originalität, Spontaneität, Ausstrahlung, Faszination, Intensität und lauter weitere tolle Sachen!

„Alien“ war unbestritten ein epochales Stück Filmgeschichte, die weiteren Teile erreichten diese Qualität nie mehr. Schlauerweise gab es keinen Versuch für „Titanic II“, „Vom Winde verweht II“ oder „E.T. II“, andere versuchten sich an Fortsetzungen - und gingen gnadenlos baden! Die Film-, Musik- und Kunstgeschichte ist voll von unrühmlichen Beispielen.

Auch bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist die Entwicklung immer abwärts ausgerichtet; es wird seltenst besser. Die gegenseitige Anziehung nimmt vom Zeitpunkt „Null“ des Kennenlernens stetig ab. Bleibt nur, rasch möglichst viele Gemeinsamkeiten zu finden und zu hoffen, dass das zusammen mit der Menge Anziehung für ein gemeinsames Leben ausreicht!

Sonst hilft nur ein „Reset“ zur richtigen Zeit. Trennung, Pause oder eine Auszeit sind probate Mittel, die Batterien aufzuladen und einen Neustart zu machen.

Ich auf jeden Fall bin „überreif“ für einen Reset; und es ist mir ziemlich egal ob Urlaub, Wellnesswochenende oder Exitus…

Was sich derzeit so alles an „Formaten“ im deutschen Fernsehen tummelt, ist eigentlich nicht dazu angetan, Herbstwolken, trübe Gedanken oder Abnutzungserscheinungen zu vertreiben. Auch nicht uneigentlich! So lange Mittel für solch kreative Rohrkrepierer wie z.B. „Jumbos Würstchenmillionär“ oder „X-Diaries“ von irgend jemandem bereit gestellt werden, lohnt es nicht, über Niveau zu streiten. Aber vielleicht wäre es für einige Hartz IV Bezieher die Möglichkeit, zukünftig eigene „Brötchen zu verdienen“ - als Statist, Hauptdarsteller, oder Drehbuchautor. Auf der Straße, im Arbeitsamt oder auf öffentlichen Plätzen und Bedürfnisanstalten gibt es sowohl ausreichend Darsteller wie auch „Stoff“ für Sendungen aller Art. Hartz IV Sendungen von Hartz IV Autoren für Hartz IV Publikum (und mich); ein geschlossener Kreislauf…

Sei’s drum - Winterreifen drauf, Tops und T-Shirts gegen Jacken und Langarmkleidung tauschen, Großbildfernseher und PartnerIn für die dunkle Jahreszeit sichern und den Blick nach vorn richten - dann klappt’s auch mit dem Überwintern…
;-)

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